Einbahnstraße Milford Sound

Heute Nacht war es wieder sehr kalt. Wahrscheinlich wirklich nur die angesagten 3°C. Deshalb zieht mich auch lange nichts aus dem Schlafsack und es wird wieder spät, ehe ich aufbreche.

Über Lake Manapouri hängen nur wenige Wolken und sonst ist der Himmel blau bis zum Horizont und ein leichter Südwind weht. So verfliegen die ersten Kilometer bis zum Lake Te Anau wie im Flug und plötzlich liegt der See vor mir. Links sind riesige Berge und rechts flaches Land und dazwischen liegt der tiefblaue See.

Te Anau ist komplett vom Tourismus geprägt - Hotels, Motels, Backpackers und Camps. Alles ist schön auf den See ausgerichtet und erst dahinter liegen die Häuser der Kiwis. Auf dem See ist ein einsamer Surfer bei den ersten Versuchen, aber bei den Wassertemperaturen macht reinfallen wahrscheinlich überhaupt keinen Spaß.

Es ist zu merken, dass heute Feiertag ist. Es sind wenig Leute unterwegs und nur die Diary und die Tankstelle sind geöffnet. Dazu einige Reisebüros, der Rest schläft. Ich ergänze meine Vorräte und weiter geht's.

Zuerst fahre ich entlang des Ufers des Lake Te Anau, es geht immer leicht rauf und runter. Der Wind schiebt etwas und so fliege ich dahin. Mein Hals ist vom "nach links auf die Berge schauen" schon total verdreht, als ich den ersten Wald erreiche. Es ist kein Industriewald, sondern richtiger mit hohen Laubbäumen in verschiedenem Alter.

Dann folgt wieder eine freie Fläche mit Blick über den See und immer wieder alle 5 bis 10 Kilometer ein Camp vom DoC etwas abseits der Straße. An der kleinen Siedlung Te Anau Downs verlasse ich das Seeufer. Von hier fährt auch das Schiff, dass die Wanderer auf das andere Seeufer bringt zum Beginn des Milford Tracks.




Es geht über eine Kuppe und dann weiter entlang des Ufers des Eglington Rivers, zuerst direkt auf den Countes Peak zu und dann immer tiefer ins Tal. Allmählich wird das Tal schmaler und die flankierenden Berge immer höher. Weit über 1000 Meter ragen sie über das Tal hinaus und sind doch zum greifen nahe.

Ab hier geht es immer wieder durch Wald, herrlichen "Native Forest" mit Bäumen von ganz dünn bis ganz dick, von ganz jung bis ganz alt und von ganz klein bis riesig. Die größten Bäume erreichen Höhen von weit über 20 Metern. Und alles erstrahlt in sattem grün. Dazwischen sind immer wieder Schneisen von umgestürzten Bäumen oder von Bächen. Und ich stelle mir die Wassermassen vor, die solche Schneisen in den Wald reißen und sich dann durch das Tal abwärts ergießen. Und ich bin froh, dass es heute nicht regnet und mich das Wasser von der Straße reißt, in den Eglington spült und mich dann durch das Tal abwärts führt.

Am Lake Gunn rücken die Berge noch enger zusammen und lassen nur noch Platz für den See. Die Straße verläuft irgendwo am Hang entlang. Immer wieder überquert sie Bäche und Schneisen, die bei Regen mit Wasser gefüllt sein müssen.

Ich erreiche kurz darauf die Wasserscheide. Hier befindet sich eine Schutzhütte am Beginn des Routeburn Track, eigentlich ist es auch keine Hütte sondern eher eine große zugige Bushaltestelle. Hier treffe ich ein amerikanisches Paar aus Kalifornien am Beginn des Tracks. Wir unterhalten uns kurz über das woher und wohin, dann mache ich noch ein Bild von ihnen und sie verschwinden im Unterholz. Die Bugs zwingen mich dann auch zu Bewegung und so fahre ich weiter.

Nach einer kurzen Steigung geht es hinab ins Hollyford Valley. Die Berge werden plötzlich riesig und alles was ich vorher gesehen habe, erscheint winzig. Mt. Christinas Flanke fällt fast senkrecht ab. Oben leuchtet der Schnee und von dort fällt auch Wasser herab. Zuerst über kahle Felsen, dann über Moos, Gestrüpp und schließlich Wald, wo es fast 2000 Meter tiefer in den Hollyford River fließt. Die Berge sind gigantisch und irgendwo ganz unten verläuft die Straße.

Allmählich gewinnt die Straße wieder an Höhe. Der Wald weicht zurück und Buschland säumt den Straßenrand. Und immer wieder Wasserfälle. Dann ein letzter Anstieg und ich stehe vor einer Wand aus Fels und mitten hinein führt der Homer-Tunnel, der mich auf die andere Seite der Berge und dann hinunter zum Milford Sound bringen wird. Gebaut wurde er 1940 bis 1950. Der Tunnel hat ein konstantes Gefälle von 9 Prozent in Richtung Meer und er ist stockdunkel. Und Homer-Tunnel heißt er, weil ein Mr. Homer diese Stelle auf einer Erkundungsreise 1889 für eine Überquerung der Berge ideal fand.

Ergänzung 2005: inzwischen wurde der Homer-Tunnel beleuchtet und hat auf die Art etwas von seinem Schrecken eingebüßt.

Ich suche meine Lampen heraus und ziehe noch etwas über, aus dem Tunnel weht ein kalter Wind. Und dann stürze ich mich hinein. Schnell steigt meine Geschwindigkeit, aber ich muss nur bremsen. Es ist so dunkel und ich erkenne so wenig, dass ich denke meine Lampe wäre am Ende. Aber die strahlt mit voller Kraft – bloß meine Augen, geblendet von der Sonne, erkennen fast nichts.

Orientierung geben mir nur die roten Reflektoren an der Tunnelwand und die Tunnelöffnung irgendwo weit vor mir. So lasse ich mich langsam, immer am bremsen, abwärts rollen. Um mich herum rauscht es und ich denke, jeden Moment fällt das ganze Wasser auf mich. Aber irgendwann sind die 1270 Meter zu Ende und ich verlasse die Röhre wieder.



Ich stehe sofort in der prallen Sonne, es ist wie im Backofen. Schnell packe ich die Lampe wieder weg und lasse mich abwärts fallen, aber halt, da kommt noch ein Auto, ich lasse es lieber vorbei, um die Fahrt genießen zu können. Aber an der nächsten Kurve hole ich den Campervan schon wieder ein, aber sie halten kurz an und winken mich vorbei.

Jetzt lasse ich es richtig rollen, ein kurzer harter Antritt und ab. Es herrscht kein Verkehr und die Straße ist ordentlich. In die Kurven legen und auf der Geraden möglichst klein machen. So fliege ich mit bis zu 70 Sachen abwärts, überquere immer wieder kleine Brücken und tauche ein in dichten Wald.

Die 18 Kilometer bis hinunter ans Wasser sind total schnell verflogen. Die Natur hat hier schon verloren. Überall riesige Parkplätze, dazu eine große Anlegestelle, vier Boote liegen an der Pier und einige Plätze sind noch frei. Von den Parkplätzen führt ein überdachter Weg zum Hafen und weiter zu den Bowen Falls – ein wirklich schöner Wasserfall, aber mir ist alles etwas zu kommerziell. Über allem trohnt der Mitre – im Abendlicht ein schönes Bild.

Na gut, denke ich, vielleicht wird es morgen früh besser und fahre zurück zur Milford Lodge. Zum Glück fahre ich aber zuerst über den Platz und sehe, wie schlecht die Möglichkeiten zum zelten sind, alles ist nur auf Campervans ausgerichtet. Überall Schotter und nur am Rand kleine bucklige Rasenflächen. Dazu überschüttet ein Generator den ganzen Platz mit Lärm, so dass der letzte Rest Romantik weggedröhnt wird.

Nein, sage ich, das ist zu erbärmlich, dann lieber wieder hinauf auf den Pass und durch den Tunnel und ich bin wütend auf den Milford Sound. Also schnell eine Kleinigkeit essen, das Hinterrad etwas nachspannen und weiter. Da nerven auch schon wieder die verdammten Bugs und weg bin ich.

Zuerst verläuft die Straße relativ eben und ich mache ordentlich Dampf. Allmählich wird es steiler, aber ich will nur noch rauf. Ich trete immer stärker in die Pedalen, vergessen sind alle Motive für ein Photo, ich will nur noch rauf...

Die Sonne steht schon so tief, dass das Tal komplett im Schatten liegt, aber die Kühle spüre ich erst, als ich oben anhalte. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir den Wahnsinn, für die 16 Kilometer von der Lodge (gut 900 m tiefer) habe ich 1h 23min benötigt. Aber jetzt ist es trotzdem schon 21.15 Uhr, die Zeit drängt.

Noch schnell ein Stück Schokolade, Jacke über, Lampe an und los. 1270 Meter bei 9 Prozent Steigung liegen vor mir. Die Lampe erhellt zuerst wieder kaum den Tunnel und ich brauche die gesamte Fahrbahn, um halbwegs auf Kurs zu bleiben. Allmählich sehe ich aber mehr und sehe auch die kleinen Wasserfälle, die das Rauschen verursachen. Und so klettere ich allmählich im Horrortunnel immer höher.

Das Ende ist schon zu sehen, aber noch ist der Beginn heller. Ich versuche, schneller zu treten, aber das hilft auch kaum und so dauert es ewige 15 min, bis ich wieder das Tageslicht sehe. Aber vom Tageslicht ist schon nicht mehr viel übrig. Der Mt. Christina hat nur noch eine rote Spitze und das gesamte Tal liegt farblos vor mir.

Ich fahre auch nur noch wenige Kilometer abwärts und suche mir dann eine Stelle für mein Zelt. Dazu muss ich noch durch eine ca. 30 cm tiefe Furt, aber dafür ist dieser Platz so schön, wie kaum ein anderer.

weiter nach Invercargill oder nach oben